02/07/2024 0 Kommentare
Wittenberg und die Liebe Gottes
Wittenberg und die Liebe Gottes
# Aus der Gemeinde ...
Wittenberg und die Liebe Gottes
Liebe Gemeinde, diese Woche verbringe ich meine zweite Woche im Predigerseminar in Wittenberg. Es ist schön hier: Das Wetter stimmt. Das Programm ist meistens interessant. Es gibt viele Pausen und abends kann man zur Elbe schlendern und ein kühlendes Bad nehmen. Gerne auch mit Bier in der Hand und Abendsonne im Gesicht.
Für mich als Vater eines Andertalbjährigen fühlt es sich hier durchweg wie betreute Ferien an. Nicht mal um das Essen muss ich mich kümmern. Es steht zu verlässlichen Zeiten auf dem Tisch und ist abwechslungsreich. Überhaupt muss ich mich um nichts und niemanden kümmern. Umgekehrt kümmern sich ständig kompetente Menschen um mich. Ich habe viel geistige Anregung, kann mich im geschützten Rahmen ausprobieren. Ich kann mich viel bewegen, z.B. beim Tischtennis oder Schwimmen. Es wird, gesungen, getrunken, gelacht. Ich habe so viel Zeit für mich, wie lange nicht mehr.
Und das habe ich dieses Jahr mindestens drei Wochen! Na gut, die zwei Wochen, die ich im Herbst hier sein werde, werden weniger warm sein. Aber die Gruppe der Vikar*innen hier funktioniert bisher so gut, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass es trotzdem sehr lustige und interessante betreute Ferien werden.
Aber ich vermisse meinen Sohn. Das habe ich besonders gemerkt, als ich losgefahren bin. Schon letztes Mal. Und auch beim Wiederkommen nach der ersten Woche habe ich gemerkt, wie sehr ich ihn vermisst habe. Beide Male hab ich geweint. Es ist komisch, ihn zu verlassen und ihn nicht um mich zu haben.
Deshalb rührt mich diese Woche die Geschichte vom verlorenen Sohn besonders. An die musste ich sofort denken, als ich sah, dass es im Evangelium zu diesem Sonntag um verlorene Schafe geht.
Ich kann mir gerade kein stärkeres Bild für die Liebe Gottes, für seine Trauer über Menschen die sich von ihm abwenden und seine Freude über die, die zu ihm zurückkehren, vorstellen als die Geschichte vom verlorenen Sohn.
Dabei ist mein Sohn ja gar nicht abgehauen, ich mache eben nur betreute Ferien. Und eigentlich steht ja der Vater in der Geschichte für Gott und nicht für uns. Das Bild ist also irgendwie schief.
Aber es bringt mich auf einen Gedanken: Das Gott uns liebt, heißt vielleicht, dass wir nicht an dem vorbeileben können, was uns unbedingt wichtig ist. Denn ich glaube, die wirklich erfüllten Momente im Leben sind die, in denen wir im Einklang mit dem leben, was uns unbedingt wichtig ist. Und die Momente, in denen wir mit den Menschen zusammen sind, die uns am Herzen liegen. Dann sind wir zugleich ganz bei uns. Dann kann man sich ganz in seinem Leben zuhause fühlen. Dann fühlt man sich beschenkt, geliebt.
Das heißt dann aber komischerweise auch, dass Trauer, Schmerz und Vorwürfe, die man sich macht, auch Ausdruck von Gottes Liebe sind. Denn sie zeigen uns, was uns fehlt. Sie zeigen uns, wo unser Leben doch an dem vorbei geht, was uns unbedingt wichtig ist. Denn leider leben wir ständig an Dingen und Menschen vorbei, die uns am Herzen liegen. Oft geht es leider nicht anders.
Wir können also doch an dem, was unser Leben ausmacht und erfüllt, vorbeileben und wir müssen es immer wieder. Aber wir können doch nicht wirklich daran vorbeileben, weil es dann als Vorwurf, Schmerz oder Trauer in unserem Leben bleibt. Und das ist gut. Denn so bleibt es unser Leben. So bleibt es das, was uns ausmacht. Es zeigt uns, dass wir uns ernst nehmen dürfen. Dass wir uns ernst nehmen müssen. Oder eben, dass Gott uns liebt.
Irgendwie macht mir das den Aufenthalt hier im Predigerseminar fast leichter, wenn ich mal wieder traurig an meinen Sohn zuhause denke und an das, was ich alles verpasse. Denn es zeigt mir, wie schön es war, als ich mit ihm zusammen war. Wie schön es ist, dass es ihn gibt und er zu meinem Leben gehört. Und wie schön es ist, dass ich ihn bald wiedersehen kann.
Und dann kann ich auch das Bier in der Elbe entspannter genießen.
Schöne Grüße aus Wittenberg!
Ihr
Oskar Hoffmann
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