In ihrer wunderbaren Kurzgeschichte „Forty Years On“ erzählt Norah Lofts von einem Jungen – nennen wir ihn Richard - der im Schatten eines angeheirateten Cousins aufwächst.

Er begegnet ihm nie; seine Tante Carrie erzählt jedoch immer wieder, wie gut der gleichaltrige John, ebenfalls ein Neffe von ihr, im Sport ist und dass er schon die Neuner-Reihe kann, während sein Cousin sich noch mit der Viererreihe abmüht. 

Zu einer Goldenen Hochzeit in London eingeladen, bei der auch John mit seiner Familie anwesend sein wird, bekommt Richard einen neuen Haarschnitt und probiert genervt seinen neuen Anzug an. Er weiß genau, dass ihm all das nicht helfen wird, neben dem haushoch überlegenen Cousin zu bestehen. Doch seine Gebete werden erhört; in der Nacht bekommt er Mumps, und die Fahrt zum Familienfest fällt aus.

Als die beiden erwachsen werden, hält Tante Carrie Richards Familie über Johns Fortkommen weiter auf dem Laufenden. Sie schickt zum Beispiel einen Zeitungsausschnitt, der davon berichtet, dass John als Finanzberater eines Maharadschas nach Indien geht. Richard hingegen sucht beruflich nach etwas, das ihm John nicht streitig machen kann. Er wird Schriftsteller und bleibt nicht ohne Erfolg.

Als Rentner begegnen sich die beiden zufällig in einem Londoner Club. John spricht Richard an und gibt sich zu erkennen: „Wir hatten eine gemeinsame Tante!“ Zu Richards Verwunderung ist John nicht groß und braungebrannt, sondern klein und glatzköpfig - und stottert. Und gesteht ihm, dass er als Kind ständig von Richard und seinen Heldentaten hörte – von seiner Tante Carrie. Und dass er sich daraufhin so angestrengt habe, dass er beim Rechnen („dem Einzigen, was ich konnte!“) immer besser wurde. „Ersetze Rechnen durch Geschichtenerzählen, und du hast meine Lebensgeschichte!“ erwidert Richard.

Dann stellen die beiden alten Herren fest, dass sie nicht das schlechteste Los gehabt haben, und stoßen mit einem Glas Sherry an – auf ihre Tante Carrie.

Ihre
Regina Schlingheider