»Ich wohne überall, wo man mich einlässt.«

»Ich wohne überall, wo man mich einlässt.«

»Ich wohne überall, wo man mich einlässt.«

# Tageslosung mit Auslegung

»Ich wohne überall, wo man mich einlässt.«

Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht Gottes des HERRN.
(Gen 3,8)


»Mitten im Garten Eden stand ein großer Baum, daran hing ein großes, mit fetten Buchstaben beschriebenes Schild: DENKT NICHT EINMAL IM TRAUM DARAN; VON DEN FRÜCHTEN DIESES BAUMES ZU ESSEN. Als Adam und Eva dann trotzdem von den Früchten dieses Baumes aßen, warf Gott sie unverzüglich aus dem Garten hinaus, und das beweist: wenn Gott ein Schild aufhängt, tut man gut daran, es zu lesen!

Das Leben außerhalb des Gartens war schwer. Im Garten Eden trugen die meisten Bäume Früchte, fast alle Tage waren sonnig und die meisten Tiere waren friedlich. Aber außerhalb des Gartens hatten viele Bäume Schädlinge, viele Tage waren kalt, und zahlreiche Tiere wollten Adam und Eva beißen, stechen oder fressen.

Weil sich alles Schwere, Kalte und Bissige außerhalb des Gartens befand, war Adam überzeugt, dass Gott nur innerhalb des Gartens wohnt. Adam war traurig, dass er nicht mehr in Gottes Nähe lebte, aber an den meisten Tagen hatte er so viel zu tun, dass er nicht zum Traurigsein kam. Adam musste viel Zeit auf den Feldern verbringen, musste pflügen, säen, Unkraut jäten und sich dabei vor den Tieren in Acht nehmen, die stechen oder beißen konnten. Aber immer, wenn Adam nicht arbeitete, war er traurig. Sehr traurig.

Im Garten hatte Adam manchmal den ganzen Tag dagesessen und mit Gott gesprochen. Er sprach zu Gott über den Himmel und das Wasser, über die Berge und Täler. Aber am meisten sprach Adam mit Gott über seine Gefühle. Wenn Adam einen schönen Sonnenuntergang, eine vollkommene Blume, ein zartes Spinnennetz, einen Vogel mit buntem Gefieder oder kleine Fische im Teich sah, öffneten sich Adams Lippen zu einem strahlenden Lächeln, das aus seinen Zehen aufzusteigen schien, sich auf seinem Gesicht ausbreitete und seinen ganzen Körper zum Leuchten brachte. Und dann versuchte Adam Gott zu erklären, wie es sich für ihn anfühlte, wenn er rings um sich her so wunderbare Dinge sah.

Manchmal fand Adam nicht die rechten Worte, um seine Gefühle auszudrücken, und dann warf er einfach die Hände in die Luft und fragte: ›Gott, weißt du, wie ich mich fühle?‹

Dann antwortete Gott stets mit leiser, ruhiger Stimme: ›Ich weiß, wie du dich fühlst.‹ Dann küsste Gott Adam mit einem Windhauch, und danach gingen beide ihrer Wege, bis sie sich am nächsten Tag wieder trafen. Jetzt, wo Adam außerhalb des Gartens lebte, erinnerte er sich an diese Gespräche mit Gott. Er fürchtete, dass es sie nie mehr geben würde, und er war sehr traurig.

Eines Tages sah Adam draußen auf dem Feld einen schönen Sonnenuntergang. Er war nicht ganz so rot und violett und orange und gelb wie die Sonnenuntergänge im Garten Eden, aber doch ganz hübsch. Und Adam warf die Hände in die Luft und rief in den Himmel hinauf: ›Gott, weißt du, wie ich mich fühle?‹ Aber Adam hörte nichts.

An einem anderen Tag fand Adam eine Blume. Außerhalb des Gartens gab es nicht so viele Blumen, aber diese hier war wunderschön rot mit etwas Gelb in der Mitte. Adam roch an der Blume und lächelte. Dann rief er: ›Gott, weißt du, wie ich mich fühle?‹ Aber noch immer hörte Adam nichts.

Eines Morgens entdeckte Adam ein Spinnennetz, und obwohl es nicht so groß und so kunstvoll war wie die Spinnennetze im Garten Eden, saßen auf den Fäden doch zahllose Tautröpfchen, die in der Morgensonne blitzten. Und Adam rief: ›Gott, weißt du, wie ich mich fühle?‹ Aber Adam hörte nichts.

Eines Tages sah Adam einen Schwarm Gänse über sich hinwegfliegen und rief ihnen zu: ›Kommt zurück, Gänse! Sagt mir, wohin ihr wollt. Erzählt mir vom Himmel und vom Fliegen und vom Leben an einem Ort ohne Mauern, dann will ich euch sagen, wie ich mich fühle.‹ Aber die Gänse kehrten nicht um, und Adam hörte nur noch ihr Schreien, als sie davonflogen und im grauen Himmel verschwanden.

Dann kam Adam eines Tages ans Ufer eines klaren, blauen Teiches. Nahe dem Ufer schwamm ein Schwarm kleiner Fische herum. Adam setzte sich auf einen Stein, vergrub das Gesicht in den Händen und begann zu weinen. Erst war es ein stilles Weinen, aber bald wurde sein ganzer Körper vom Schluchzen geschüttelt, und seine Tränen tropften in den Teich wie Regen. Die kleinen Fische ängstigten sich, sooft eine Träne ins Wasser fiel. Aber sie kamen zurückgeschwommen, sobald die Wasseroberfläche wieder glatt war.

Bald hörte Adam auf zu weinen. Er schaute die Fische an und sagte nichts. In diesem Augenblick kam die Sonne hinter einer Wolke hervor und wärmte sein Gesicht. Ein Windhauch umspielte seine Wangen und trocknete seine Tränen, und ganz plötzlich sagte eine leise, ruhige Stimme: ›Ich weiß, wie du dich fühlst.‹

›Gott, bist du das?‹, fragte Adam. ›Wohnst du hier draußen?‹ Gott sagte: ›Ich wohne überall, wo man mich einlässt.‹

›Ich habe dich so viele Male gerufen‹, sagte Adam. ›Warum hast du mir nicht geantwortet?‹

Gott erwiderte: ›Ich habe dir immer geantwortet. Aber außerhalb des Gartens Eden musst du ein bisschen aufmerksamer lauschen, um mich zu hören. Hier draußen ist es nicht so still.‹

›Ich vermisse den Garten‹, sagte Adam.

›Ich weiß, wie du dich fühlst‹, sagte Gott. ›Es tut mir Leid, dass ich dich hinauswerfen musste. Dort war alles gut, aber vielleicht war es zu gut. Der Garten war ein bisschen klein, und du hast für nichts arbeiten müssen. Auch wenn außerhalb des Gartens das Leben schwerer ist, wirst du doch schätzen, was du hast. Außerdem gibt es hier draußen keine Mauern, und du wirst gebraucht, damit alles wachsen und gedeihen kann. Wenn du an einem vollkommenen Ort lebst, ist das vielleicht nicht so gut, wie wenn du an einem Ort lebst, wo du gebraucht wirst. Außerhalb des Gartens können die Kinder deiner Kindeskinder aufwachsen und sich ausbreiten und die große weite Welt bevölkern. Wenn ich es mir genau überlege, bin ich gar nicht so sicher, was besser ist – im Garten Eden zu leben oder außerhalb des Gartens zu leben.‹

Da lächelte Adam und sagte zu Gott: ›Ich weiß genau, wie du dich fühlst.‹

Und Gott küsste Adam mit einem Windhauch.«


Also, kein Grund sich zu verstecken!
Gott weiß, wie ich mich fühle.
Innerhalb und ebenso außerhalb des Gartens Eden.
Gott ist da.
Ein Grund mehr auch an diesem Montag
die Hände in die Luft zu werfen
oder auf andere Art und Weise zu beten
zu dem, den wir Abba, Vater nennen dürfen,
zu Gott, der weiß, wie wir uns fühlen.

Ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen,
dass ihr euch abermals fürchten müsstet;
sondern ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen,
durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!
(Röm 8,15)


Möge Gott Sie mit einem Windhauch küssen!

Ihr
Vikar Sebastian Gebauer



Geschichte zitiert nach:
GELLMAN, M.: Gott, weißt du, wie ich mich fühle?, in: ders.: Was denkt Gott? Geschichten über Geschichten aus der Bibel, Hamburg 1998, 31-34.

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