»Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde«

»Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde«

»Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde«

# Pfarrerin Gorgas denkt ...

»Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde«

Pünktlich, zur vereinbarten Zeit, klingelte er an der Haustür. „Guten Tag, ich soll hier Fenster putzen. Um eins bin ich fertig.“ Ich staunte. Und war sofort neidisch. Der Mann schien ja seine Zeit gut im Griff zu haben. Er hatte noch keinen Blick auf die zu erledigende Arbeit geworfen. Er hatte noch gar keine Vorstellung von der Beschaffenheit der Fenster und von den vielleicht auftretenden Hindernissen und wusste trotzdem schon das Ende seiner Arbeit zu benennen.

Das nannte ich Zeitmanagement. Ich überlegte kurz, nach welcher Methode der Fensterputzer wohl seine Zeit, oder besser gesagt sich und seine Arbeit managte. Nach der Eisenhower–Matrix oder doch nach dem Pareto–Prinzip? Gern hätte ich mein kürzlich auf einer Fortbildung, für die ich mir Zeit freigeschaufelt hatte, erworbenes Wissen unter Beweis gestellt. Aber Ich traute mich nicht, ihn zu fragen, sondern zeigte ihm nur die vielen kleinen und großen Fenster der Pfarrhausveranda, die wirklich dringend einer gründlichen Reinigung bedurften. Ich sah, wie er beim Anblick der Fenster ein klein wenig schluckte. Aber auch dieses kurze Zögern wischte er sofort professionell zur Seite. „Dann wollen wir mal!“ Ich wollte gar nicht, ich hatte soviel anderes zu tun. Freundlich sagte ich noch schnell zu dem Mann, dass mein Zeitfenster heute sehr eng sei und er solle sich melden, wenn es Probleme gäbe. Dann ließ ich ihn mit den Fenstern allein und war es mit mir. 

Es war die Zeit meines Kalenders. Termine abgleichen, planen, manchmal träumen von freier Zeit. Freie Zeit. Zeitfenster. Zeitfenster. Zeitfenster.

Ich merkte, wie ich dieses Wort der modernen Zeit vor mich hin sagte. Nebenan hörte ich den Fensterputzer. Er pfiff doch tatsächlich bei seiner Arbeit. Er schien tatsächlich Zeit zu haben.

Was hatten eigentlich die Fenster mit der Zeit zu tun? Was ist ein Zeitfenster? Wann hat GOTT beschlossen, die Zeitfenster der Schöpfung zu öffnen? Hat er sie auch wieder geschlossen? Putzt ER sie manchmal? Fragen über Fragen.

Ich hatte doch eigentlich gar keine Zeit für derartige Spekulationen. Ich hatte die nächste Beerdigung zu bedenken. Die war jetzt wichtig und dringend. Time to say goodbye. Wie so häufig in der letzten Zeit würde dieses Lied auf dem Friedhof erklingen. Es ist Zeit, auf Wiedersehen zu sagen. Das stimmte. Immer.

Es ist Zeit, einen Blick auf das Fenster der Ewigkeit zu werfen. Stimmt das auch? Nehme ich mir die Zeit, innezuhalten und der Zeit ohne Zeit Raum zu geben in meinem Leben? Arbeite ich daran, dass das Fenster der Ewigkeit gut geputzt ist, damit GOTTes Licht in mein Leben scheinen kann? Kaufe ich meine irdische Lebenszeit aus und singe dabei das Lied von der Stadt Gottes, die mit ihrem himmlischen Licht in meinen Alltag leuchtet? Fragen über Fragen.

Und eigentlich habe ich gar keine Zeit dafür. Stimmt das? Nein, es stimmt nicht. Denn bei allen so genannten Sachzwängen und bei aller fehlenden Zeit bleibe ich doch für immer und ewig GOTTes Geschöpf. Und damit ein freier Mensch. Befreit von der krankmachenden Vorstellung, ich müsste in meinem Leben alles und sofort und hundertprozentig erledigen und schaffen. Ich habe Zeit. Und achtzig Prozent sind auch gut.

Das sind doch mal tolle Erkenntnisse des Zeitmanagements. Zeitgemäß geradezu. Sie sind so alt, wie die Welt. Jesus erzählt davon. In der großen Geschichte von den zehn Frauen, die ihre Zeit aus GOTTes Hand in die eigene nehmen. Das Ergebnis fällt unterschiedlich aus. Es kann im großen Fest enden oder vor verschlossener Tür. Es kann zu spät sein, im Frieden auf Wiedersehen zu sagen. Für die Ewigkeit ist es, so glaube ich, jedoch nie zu spät. Ich vertraue darauf, dass GOTT sich darum kümmert. Mit Übersicht und vorausschauend. Pünktlich und zeitlos. Bei IHM ist alle Zeit der Welt. Von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Zwei Minuten vor eins steht der Fensterputzer vor mir. Verschwitzt. Atemlos. Fröhlich. „Bitte eine Unterschrift. Die Fenster sind sauber.“ Er hat recht. Ich staune und freue mich und frage nun doch: „Woher wussten sie, dass sie es schaffen würden?“ Sein verständnisloser Blick trifft mich. „Junge Frau, es ist Freitag. Feierabend. Freitag nach eins…“ Das nenne ich Zeitfenster.

Die Sonne scheint. Die Fenster werden nicht so sauber bleiben. Der Herbst wird seine Zeit nutzen. Ich werde mir den Fensterputzer für den Frühling auf Termin legen. Planend. Es wird schon gut gehen.      

Ihre
Pfarrerin Barbara Gorgas



(Foto: Tim Mossholder / Unsplash)

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