02/07/2024 0 Kommentare
»Ruth Barbara, kommst du mal?«
»Ruth Barbara, kommst du mal?«
# Pfarrerin Gorgas denkt ...
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»Ruth Barbara, kommst du mal?«
„Ruth Barbara, kommst du mal?“ Die Frage war keine Frage. Wenn mein Vater oder meine Mutter mich bei meinen beiden Vornamen riefen, wusste ich, dass Rückfragen oder gar Überhören keinen Sinn hatten. Wenn meine Eltern aus dem Diminutiv meines Namens in die Vollständigkeit wechselten, dann hatte ich entweder etwas angestellt oder es gab wichtige Familiennachrichten zu besprechen. Ganz gleich, was es war, ich wusste, was ich zu tun hatte - ich ging hin! Immer mit klopfendem Herzen, denn es waren entweder eine Standpauke oder große Neuigkeiten zu erwarten.
Und immer ging ich in der Gewissheit, ernst genommen zu werden, bei allen Dummheiten, die sich von mir finden ließen, vor allem aber im erwachsenen Gespräch über die Dinge des Lebens. Manchmal fliegt mich ein Hauch von Wehmut an, wenn ich heute über die Dinge des Lebens nachdenke oder von ihnen erzähle. Ich habe meine Eltern, die lange schon in Gottes Ewigkeit gegangen sind, nie gefragt, aus welchem Grund ich Ruth und Barbara heiße. Waren die Vornamen damals modern? Heiße ich so, weil meine Mutter den einen Namen auch in ihrem Namen trug? Von Generation zu Generation? Ist Vater und Mutter gar die biblische Ruth vor Augen und im Sinn gewesen? Ich weiß es nicht, aber ich will es gern glauben. Denn die große Erzählung von Ruth fasziniert mich, lässt mein Herz immer wieder neu höher schlagen und macht jedes Mal beim Studieren und Nachsinnen Lust auf Leben und Liebe.
Das Buch Ruth kommt klein und schmal in der Schrift daher, großartig eingebettet zwischen den Spruchweisheiten und dem Hohelied der Liebe. Verstand und Gefühl, Sinn und Sinnlichkeit bilden in der Sammlung der hebräischen Schriften den Rahmen für diese nach Sommer und Ernte schmeckende Geschichte. Der zweite Vorname für das Buch Ruth könnte Treue heißen, denn um die Treue geht es ebenso, wie um das erwachsene Vertrauen in die Möglichkeiten, die der HERR dem Leben bereitet. Alle tun das ihre, tun das, was sie zu tun vermögen, damit der Segen weiterleben kann, damit das Leben weiter gesegnet bleibt. Und alle sind beteiligt. Menschen, Völker, GOTT.
Der Anfang der segensreichen Lebensgeschichte ist, wie so oft, schwer und schwierig. Eine Hungersnot herrscht im Land, wo Milch und Honig fließen. Eigentlich ist alles da, und doch müssen Menschen alles verlassen um nicht zu sterben. Ausgerechtet aus Bethlehem, dem Haus des Brotes, macht sich eine Familie auf in die Fremde.
Und sie wird willkommen sein, so erzählt es die Schrift. Und sie wird leben und säen und ernten und die Samenkörner werden Frucht tragen, trotz der Gegenwart des Todes. Und dann ist der Augenblick der ganz großen Ernte da.
Zwei Frauen stehen an einer Grenze. Es ist eine Grenze, die in Treue in die Vergangenheit führt und zugleich durch die Liebe mitten hinein in die Zukunft. Naomi, die Israelitin, die im fremden Land Moab leben konnte, und ihre Schwiegertochter. Ruth, die Moabiterin. Zwei Leben, zwei Hoffnungen auf Glück und Brot. Beide entscheiden sich ganz und gar für das Leben. Naomi bietet Ruth die Umkehr ins Gewohnte, Gesicherte, Eingeübte an. Ruth weiß um dieses Geschenk. Und wandelt es in Segen: »Wo du hingehst, da will auch ich hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk und dein GOTT ist mein Gott«.
Mit diesem lebensentscheidenden Satz wird das Buch Ruth zur Protestnovelle gegen die Engstirnigkeit der Grenzzieher. Gegen die, die die Hoffnung als Dummheit abtun und gegen die, die Angst haben vor der Barmherzigkeit des Schöpfers. Ruth geht gemeinsam mit Naomi den schweren Weg der Friedensarbeit. Sie geht ganz neu und doch zurück nach Bethlehem, ins Haus des Brotes. Sie muss sich viele Fragen gefallen lassen. Sie muss sich in Geduld üben. Und sie lässt sich finden von Glaube und Hoffnung und Liebe. Sie wird das Leben weitertragen und die Generationen werden von ihr erzählen. Ihre Geschichte wird einem Samenkorn gleich, hundertfach Frucht bringen. Ihr Wort vom Mitgehen und Bleiben wird für Liebende zum Trau- und Treuewort werden.
Brot, das geteilt wird, schmeckt nach ihrer Geschichte. Ruth ist die Großmutter des großen Königs David. Aus Bethlehem. Und aus diesem Haus kommt Josef, der Mann der Maria. Und Maria trägt GOTTes Kind in die Welt. Und so weiter. Und so einfach ist das mit dem Leben. Großartig. »Ruth Barbara, kommst du mal?« Gern folge ich diesem Ruf, denn ich bin hineingenommen in die Liebesgeschichte, die unser gnädiger GOTT für uns bereithält. Immer neu. Immer anders. Immer gleich. Von Generation zu Generation. Mit allen Dummheiten, die ein liebendes Herz anstellen kann.
Ihre
Pfarrerin Barbara Gorgas
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