»... Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.«

»... Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.«

»... Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.«

# Pfarrerin Gorgas denkt ...

»... Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.«

»Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei,
aber die Liebe ist die größte unter ihnen.«

(1. Kor.13,13)

Am Telefon hatte ihre Stimme leise und verhalten geklungen, einen Moment war ein Zögern zu spüren, auf die Frage, an welchem Ort das Gespräch stattfinden sollte, aber dann hatte sie doch fast bestimmt gesagt: „Kommen Sie zu uns.“ Wieder eine Pause, ein Schluchzen. „Ich meine natürlich zu mir.“

An der Wohnungstür standen sie sich gegenüber. Zwei Frauen, zwei Leben, zwei Generationen. Dunkel gekleidet waren beide. Die eine, weil die Trauer um den verstorbenen Mann ihr ganzes Wesen in Dunkel getaucht hatte, die andere, weil es zu ihrem Beruf gehörte, Anteil zu nehmen an eben solcher Trauer. Ihre Blicke trafen sich. Ihre Hände berührten sich. Anteilnahme, Sympathie, Mitleid, Verstehen ohne Worte.

Und nun saßen sie an einem Tisch. Die Hände der einen hielten das Taschentuch ganz fest, Sicherheit in diesem Augenblick. Die andere hatte das Formular vor sich liegen, mit den Lebensdaten des Verstorbenen. Geburtstag, Geburtsort, letzte Anschrift, nächste Angehörige, Name des Bestattungsunternehmens, Datum der Beisetzung. Der Tod braucht Fakten. Unabänderlich. Die Frage nach der Richtigkeit des Formulars erleichterte fast immer den Gesprächsbeginn, Daten waren greifbar, Sicherheit auch hier. Der Tod schafft Fakten. Immer.

„Erzählen sie mir bitte von ihrem Mann.“ Das war immer die schwerste Bitte, weil deren Erfüllung so wenig vorhersehbar oder vorhersagbar war. Manchmal kamen dann wieder Fakten und Daten, manchmal kamen nur Tränen, manchmal kam der Satz: „Da gibt es nichts zu erzählen.“ Offener Ausgang einer Bitte, die dazugehörte, sollte es eine würdige Beerdigungsansprache werden. Die Frauen blickten einander an. Was konnte gesagt werden, was sollte verborgen bleiben im Dunkel der Vergangenheit, was musste unbedingt erwähnt werden, für die Familie, die Freunde, die Leute. Was blieb überhaupt von diesem Leben?

Moment der Stille, des Erinnerns, der  Sehnsucht. Und dann kam diese Geste. Unbewusst, voller Zärtlichkeit, tausendmal ausgeführt. Die Frau hob ihre Hand und strich sich behutsam über den Hals. Ein Kettchen blitzte da, drei winzige Anhänger daran. Ein Kreuz, ein Anker, ein Herz. Dreimal Leben, dreimal Erinnerung. Sie spürte den Blick der anderen, die ihrer Handbewegung gefolgt war. „Er hat mir die Kette einmal zum Geburtstag geschenkt. Ich trage sie immer.“ In der Erklärung lag die ganze Welt. Alle Sicherheitsvorkehrungen traten außer Kraft. Das Taschentuch weggesteckt, das Formular beiseitegeschoben. Kreuz, Anker, Herz. Glaube, Hoffnung, Liebe. Sie erzählte von ihm. Viele Geschichten, die sie miteinander erlebt hatten. Nichts Besonderes, meinte sie und konnte doch das Lächeln nicht unterdrücken, als die Rede auf ihren ersten Tanz kam. Und sie konnte die Angst nicht zurückhalten, als sie von den Stunden erzählte, in denen sie auf ihn gewartet hatte. Die Zeit stand still und lief den beiden Frauen doch davon. Längst hatte die andere aufgehört, lediglich ihren Beruf auszuüben. Zu überraschend und notwendig waren auch diesmal die Geschichten eines Lebens, einer Liebe. Es lag so unendlich viel Hoffnung darin, wenn die Fakten außen vor bleiben, wenigstens für einige Augenblicke.

Die Beerdigung war auf einen Tag kurz vor dem Osterfest festgelegt. An diesem Datum kamen beide Frauen nicht vorbei. Es stand fest. Unabänderlich. Und war doch so voller Hoffnung. Zu Ostern waren die Fakten außer Kraft gesetzt worden. GOTT hatte die Worte von Glaube, Hoffnung, Liebe mit SEINEM Leben gefüllt. SEINE Hand hatte zärtlich die Welt berührt. Das Kreuz SEINES Menschenkindes hielt Angst und Trauer, verankert in der Hoffnung GOTTES, SEINE Zuneigung, SEIN Mitleid, SEINE Sympathie könne die Welt befreien von Angst und Schuld. GOTTES Liebe ließ am Ostermorgen die Herzen der Frauen am Grab höher schlagen. „Der HERR ist auferstanden.“ Unabänderlich. Die beiden Frauen verabschiedeten sich. Beide hatten gelernt. Beide waren beschenkt worden. Der Schmuck hob sich ab vom Dunkel der Trauer. Kreuz, Anker, Herz. Glaube, Hoffnung, Liebe. Hoffentlich unabänderlich.

Ihre
Pfarrerin Barbara Gorgas

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